Osmanisches Reich: Als Selim I. starb, hatte er sein Reich verdreifacht - WELT (2024)

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Wenn heute nach berühmten Sultanen der Osmanen gefragt wird, fällt vermutlich der Name Sülyeman I., der Prächtige (1494–1566), weil er eine ganze Epoche geprägt hat. Oder auch Mehmed II. (1432–1481), der 1453 mit der Eroberung Konstantinopels ein welthistorisches Datum setzte. Aber Selim I. (1470–1520), der gerade einmal acht Jahre an der Spitze des Osmanischen Reiches stand?

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Dass da die Erinnerung aussetzt, hat einiges mit unserem eurozentrischen Geschichtsbild zu tun. Mehmed versetzte dem Byzantinischen Reich den Todesstoß und vollendete damit die Eroberung des Balkan, Süleyman eroberte Ungarn, marschierte bis vor Wien und wurde damit zur personifizierten Bedrohung aus dem Osten. Aber dass ihm dies mit den Ressourcen eines Weltreichs gelang, das sein Vater Selim I. im Orient errichtet hatte, bleibt dabei ausgeblendet.

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Zu den Historikern, die einer anderen, globalen Perspektive den Weg bereiten, gehört der Amerikaner Alan Mikhail. Der Historiker der Yale-University hat sein neues Buch der „Geburt der modernen Welt“ um die Wende zum 16. Jahrhundert gewidmet. Aber die Hauptperson darin ist nicht Kaiser Karl V., Martin Luther oder Johannes Gutenberg, sondern Sultan Selim I., „Gottes Schatten“.

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Denn um 1500 war nicht das Spanische Weltreich oder das Heilige Römische Reich das Maß aller Dinge, sondern das Osmanische Reich. Es war „der mächtigste Staat der Welt: das größte Reich im Mittelmeerraum und seit dem alten Rom und das beständigste in der Geschichte des Islam ... (damit prägte es) ... die bekannte Welt von China bis Mexiko“. Sein Architekt war Selim I.

Dass der jüngste Sohn von Sultan Bayezid II. (1447–1512) ihm einmal nachfolgen würde, verdankte jener dem Zufall und einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit. 1470 vermutlich von einer turkmenischen Prinzessin geboren, wurde Selim als 17-Jähriger mit der Statthalterschaft von Trabzon (Trapezunt) an der Südküste des Schwarzen Meeres betraut. Im Grunde war es eine Kaltstellung, denn das Zentrum der Macht war fern. Aber hier, an der Grenze zu Kaukasus und eurasischer Steppe, konnte Selim über 20 Jahre hinweg Erfahrungen sammeln und Kontakte zu kampfkräftigen Kriegerverbänden knüpfen. Vor allem aber lag hier der Schlüssel zu Regionen, aus denen zahlreiche islamische Herrscher ihre Sklaven bezogen.

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Die Zeit arbeitete dabei für Selim. Ältere Brüder, die gegen den Vater konspirierten, fanden den Tod. Der wollte seinen Lieblingssohn Ahmed zum Nachfolger aufbauen, was aber den Widerstand der Armee, vor allem der Janitscharen hervorrief. Diese osmanische Elitetruppe, die aus zwangsrekrutierten christlichen Kindern bestand, die zum Islam bekehrt wurden und beste Ausbildungen erhielten, favorisierte dagegen Selim, der mit zahlreichen Raids in seiner Provinz sein militärisches Talent bewiesen hatte, das Erfolge im Krieg und damit reiche Beute versprach.

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1511 fühlte sich Selim stark genug, um sich gegen Bayezid zu erheben. Zwar wurde er in einer Schlacht geschlagen, aber da die Janitscharen zu ihm hielten, blieb er nicht nur am Leben, sondern konnte sich sogar zum Oberkommandierenden aufschwingen. Am 24. April 1512 musste ihm der Vater schließlich den Thron überlassen.

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Seine Regierung eröffnete Selim mit einer Aktion, die die umlaufenden Gerüchte von seiner Brutalität bestätigten. Indem er seine (Halb-)Brüder und Neffen als potenzielle Thronanwärter umbringen ließ, folgte er zwar dem Familiengesetz, das Mehmed II. zur Verhinderung von Bürgerkriegen eingeführt hatte. Aber da er auch andere Rivalen systematisch verfolgte, verfestigte sich das Bild vom „blutrünstigen Tyrannen“, der „als Botschaft für die Lebenden ... den Köpfen der auf seinen Befehl Hingerichteten oft zum Abschied einen Tritt“ versetzte, erklärt Mikhail den Beinamen „der Strenge“.

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In diesem zupackenden Sinn trat Selim umgehend eine Reform los, die ihm seine Erfolge erst ermöglichte. Natürlich förderte er die Janitscharen, die in der Regel zu Fuß kämpften und bereits Feuerwaffen führten. Dazu kamen die Inhaber von Militärlehen, die als Reiterei dienten und mit Lanze und dem durchschlagskräftigen Komposit-Bogen ausgerüstet waren. Dieser Armee ergänzte Selim um eine leistungsfähige Artillerie und eine Flotte.

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Bei den Kanonen handelte es sich nicht mehr nur um schwere Belagerungsartillerie, die etwa gegen Konstantinopel zum Einsatz gekommen war. Sondern Selim baute den Bestand an mobilen Feldgeschützen systematisch aus. Damit verbunden war eine Veränderung der Taktik. Die von Infanterie gedeckte Artillerie wurde im Zentrum der Schlachtordnung konzentriert und sollte den Gegner zermürben. Im entscheidenden Augenblick erfolgte dann von den Flanken aus der Angriff der Reiterei, die – anders als in Europa – in Größenordnung von mehreren zehntausend Mann zur Verfügung stand.

Mit dieser Waffe schuf Selim ein „Gunpowder Empire“ (Schießpulver-Imperium), das bald zum Vorbild für die großen Reichsbildungen in Asien wurde. Gestützt auf ihre Feuerkraft fiel der Afghane Barbur 1526 in Indien ein und begründete das Reich der Großmoguln. Auch die Safawiden Irans sollten nach ihren schweren Niederlagen gegen die Osmanen auf Geschütze setzen. Dass sich im fernen Japan der Aufstieg des Tokugawa-Shogunats durch den massenhaften Einsatz von Gewehren vollzog, verdankten die drei Reichseiniger zwar eigenen Innovationen, die jedoch die Durchschlagskraft der aus Europa übernommenen Waffen bestätigten.

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Die Aufrüstung war kein Selbstzweck. Selim war 42 Jahre alt, als er an die Macht kam. Um sich als erfolgreicher Kriegsherr zu legitimieren, widmete er sich umgehend der größten Herausforderung, mit der er bereits als Statthalter in Trabzon seine Erfahrungen gemacht hatte. Die zahlreiche Stämme im Osten Anatoliens öffneten sich zunehmend der Botschaft der neuen Dynastie, die 1501 mit Ismail I. im Iran an die Macht gekommen war. Der neue Schah vertrat eine extreme Variante der Schia, die nur den Schwiegersohn des Propheten Mohammed und seine Nachfahren als religiöse Führer anerkannte.

Sie war in Orden organisiert, die die osmanische Herrschaft im Osten zunehmend erodierten. Selim, der sich als Oberhaupt eines sunnitischen Reiches verstand, ging mit äußerster Brutalität gegen die Schiiten vor, was zum Krieg mit dem Iran führte. Im August 1514 kam es bei Tschaldiran im Osten Anatoliens zur Entscheidungsschlacht.

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Ismail und seine Truppen, darunter zahlreiche wegen ihrer markanten Ordenshüte Kizilbasch (Rotköpfe) genannte Reitertruppen, hatten auf Feuerwaffen verzichtet, da sie ihnen als unehrenhaft erschienen. Selim dagegen ließ seine Schützen hinter Feldbefestigungen zwischen den Batterien in Stellung gehen. Bereits der Lärm der Geschütze soll Pferde von Ismails Leuten in Panik versetzt haben, am Ende sorgte ein Flankenangriff der Osmanen für den Sieg. Im Anschluss konnte Selim sogar die iranische Hauptstadt Täbris plündern. Was im fernen Orient geschah, hatte auch weitreichenden Einfluss auf Europa. Denn die Portugiesen konnten in der Straße von Hormus eine Basis errichten, ohne vom geschwächten Safawidenreich daran gehindert zu werden.

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Als nächsten Gegner nahm Selim das Mamlukenreich in Ägypten und Syrien ins Visier. Die Mamluken rekrutierten sich aus Sklaven, die aus der eurasischen Steppe stammten und daher abhängig waren von den Handelsrouten, die das Osmanische Reich nun kontrollierte. Bis 1517 eroberte der Osmane das Nilland, wobei ihm erneut Feuerwaffen den Sieg bescherten. Da sich anschließend auch der Sheriff von Mekka Selim unterwarf, gewann dieser den gesamten Nahen Osten. Damit verdreifachte er sein Reich, das beim Regierungsantritt 2.375.000 Quadratkilometer umfasst hatte.

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Nur vor einem Menschen hatte der Mann, der „in monomanem Machtstreben“ (Mikhail) zahllose Menschen eliminiert hatte, Zurückhaltung geübt. Um ihm dem Brudermord zu ersparen, verzichtete Selim nach der Geburt seines Sohnes „auf den weiteren Umgang mit Frauen“, wie es ein Historiker formuliert hat. So konnte Süleyman I. in einer friedlichen Zeremonie seinem Vater nachfolgen. Beide standen an der Spitze einer Weltmacht, die durch ihren universalen Anspruch das ihre dazu beitrug, dass sich ihre Gegner in Europa als „der Westen“ verstehen lernten.

Alan Mikhail: „Gottes Schatten. Sultan Selim und die Geburt der modernen Welt“. (Übers. v. Heike Schlatterer und Helmut Dierlamm. C. H. Beck, München. 508 S., 32 Euro)

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Juli 2021.

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Author: Prof. An Powlowski

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